Was sich am Montag im Meraner Rathaus abgespielt hat, war kein Protokollfehler, kein „kleines Missverständnis“, sondern ein zutiefst übergriffiger Akt – politisch, kulturell und menschlich. Der scheidende Bürgermeister Dario Dal Medico hat seiner Nachfolgerin Katherina Zeller die italienische Trikolore übergestreift – gegen ihren sichtbaren Willen. In einem Land wie Südtirol, wo Sprache, Identität und politische Autonomie täglich neu ausgehandelt werden müssen, ist das keine Nebensache, sondern eine Provokation.

Keine Pflicht, aber viel Druck

Der entscheidende Punkt: Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, das Trikolore-Band zu tragen. Weder bei der Amtseinführung noch im täglichen Dienst. Das ist unstrittig und durch offizielle Quellen bestätigt. Wenn Zeller sich – wie viele Südtiroler Bürgermeister vor ihr – dazu entschließt, die Trikolore nicht zu tragen oder es situationsbedingt offenlässt, dann ist das ihr gutes Recht.

Umso gravierender ist es, wenn dieses Recht durch körperliches und symbolisches Überstülpen unterlaufen wird. Was wie ein „feierlicher Akt“ verkauft wird, war in Wahrheit ein Akt der Bevormundung – einer jungen Frau gegenüber, die gerade demokratisch gewählt wurde und ihre neue Rolle mit Würde antreten wollte. Stattdessen wurde sie öffentlich regelrecht überfallen.

Italianità mit Zwang: Südtirol kennt dieses Muster

Die aggressive Reaktion auf Zellers Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr. In Teilen der italienischen Politik wird seit jeher versucht, über Symbole wie die Trikolore die sogenannte Italianità Südtirols zu betonen – teils aus Unsicherheit, teils aus Machtkalkül. Es geht nicht um Neutralität oder Respekt vor der Republik, sondern um Dominanz: Wer nicht klar „italienisch“ auftritt, wird verdächtigt, illoyal zu sein.

Für die deutsche Bevölkerung in Südtirol ist das ein altbekanntes Muster – eines, das tief in die Geschichte des Faschismus und der Zwangsitalianisierung zurückreicht. Dass heute noch – hundert Jahre später – Vertreter der Mehrheitsnation meinen, man könne Angehörige einer Minderheit durch nationale Symbolik „einrahmen“ oder gar „zurechtrücken“, ist nicht nur anmaßend, sondern schlicht beleidigend.

Zellers Besonnenheit – ein Zeichen von Charakter

Katherina Zeller hat auf den Übergriff nicht mit Eskalation, sondern mit Haltung reagiert. Ihre Erklärung war sachlich und menschlich nachvollziehbar. Sie sei überrumpelt worden, habe sich unwohl gefühlt, aber die Situation nicht weiter eskalieren wollen. Diese Besonnenheit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Charakter. Und doch muss man klar sagen: Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet sie nun in der Kritik steht – und nicht jener, der ihr die Trikolore ungefragt übergeworfen hat. Aber es zeigt auch: Wer in Südtirol nicht zur italienischen Symbolik greift, muss sich verteidigen – obwohl es eigentlich umgekehrt sein müsste.

Die Empörung von der [italienischen] Rechten: entlarvend

Die Empörung aus Mitte-Rechts-Kreisen über Zellers Verhalten wirkt geradezu grotesk. Von „Missachtung der Republik“ ist die Rede, von einem „Skandal“ und von fehlendem Respekt. Dieselben Kreise, die kaum je ein Wort über die tatsächlichen Anliegen der deutschsprachigen Bevölkerung verlieren, werfen sich jetzt in Pose, als ginge es um das Überleben der Republik. Dabei ging es nur um eines: eine Machtdemonstration.

Wer aus der Weigerung, ein Band zu tragen, eine Staatskrise inszeniert, verrät viel über das eigene Demokratieverständnis – und wenig über echte Toleranz gegenüber Minderheiten.

Unser Platz ist nicht unter einem Symbol, das uns nie respektiert hat

In Südtirol leben mehrere Volksgruppen – mit unterschiedlichen historischen Erfahrungen. Für viele Deutsch- und Ladinischsprachige ist die italienische Trikolore kein neutrales Zeichen, sondern ein Symbol eines Staates, der lange Zeit über sie hinweg regiert hat. Wer das ignoriert, spricht diesen Menschen ihr Empfinden ab – und damit auch ein Stück ihrer Würde.

Wie tief diese Missachtung gehen kann, zeigt nicht nur der Fall Zeller, sondern auch ein anderes Beispiel, das derzeit durch die Medien geht: der Tennisspieler Jannik Sinner. Weltklasse, sportlich korrekt, beliebt – und trotzdem wird er in der italienischen Presse regelmäßig angefeindet, weil er Südtiroler ist. Ein „widerwilliger Italiener“, wurde er kürzlich genannt – als wäre es ein Makel, in Südtirol geboren zu sein. Selbst sportlicher Erfolg schützt nicht vor solchen reflexhaften Abwertungen.

Noch deutlicher tritt diese Geisteshaltung bei der Politikerin Elena Donazzan, die für die Fratelli d’Italia im Europaparlament sitzt, zutage. Donazzan, die gar nicht aus Südtirol stammt, mischt sich regelmäßig in die Südtirol-Politik ein. Im Wahlkampf posierte sie provokativ mit Trikolore und Wahlplakat vor dem Kapuzinerwastl in Bruneck (UT24 hat berichtet) – wohlwissend, welche historischen Spannungen dieser Ort symbolisiert. Zur Causa Zeller sagte Donazzan wörtlich:

„Die Trikolore verweigert man nicht. Was in Meran mit der neuen Bürgermeisterin Katharina Zeller passiert ist – dass sie sich weigerte, das Trikolore-Band zu tragen – ist ein schwerer und inakzeptabler Vorgang. Das Band ist kein Accessoire, sondern Symbol unserer Republik, der nationalen Einheit, des Respekts gegenüber allen italienischen Bürgern. Es abzulehnen – auch nur symbolisch – heißt, sich gegen die Werte der Verfassung zu stellen. Gerade in Südtirol ist Respekt vor den staatlichen Institutionen und Symbolen entscheidend für sozialen Zusammenhalt und zivilisiertes Zusammenleben. Diese Geste sendet eine falsche, spaltende Botschaft, die nicht ignoriert werden darf. Ich hoffe, die zuständigen Behörden greifen klar ein. Die Trikolore ist kein Angebot – sie ist eine Pflicht.“

Wer so spricht, fordert nicht Dialog, sondern Gehorsam. Und er offenbart eine Haltung, die mit echter Minderheitenachtung nichts zu tun hat – sondern mit nationalem Zwangsdenken.

Diese Haltung ist entlarvend. Sie zeigt: Wer in Südtirol nicht ständig seine „Zugehörigkeit“ demonstriert, wird misstrauisch beäugt, abgewertet oder – wie im Fall Zeller – regelrecht diszipliniert. Es reicht nicht, gesetzestreu, integrativ und demokratisch zu handeln – man soll sich auch noch in ein Symbol wickeln lassen, das viele als Zeichen historischer Bevormundung empfinden.

Zeller hat sich nicht gegen den Staat gestellt, sie hat sich nur nicht vereinnahmen lassen. Genau deshalb verdient sie keine Kritik, sondern volle Rückendeckung. Ihre Wahl war demokratisch, ihr Auftreten korrekt, ihre Reaktion menschlich. Und ihre Haltung ist ein Zeichen von Selbstachtung – nicht von Spaltung.

  • Zwuzelmaus@feddit.org
    link
    fedilink
    arrow-up
    1
    ·
    14 hours ago

    körperliches und symbolisches Überstülpen

    Einfach mal für die Zukunft diesem Menschen die körperliche Annäherung per Gericht untersagen lassen.

    5 Meter sollten reichen, dadurch wird dann nicht einmal der politische Diskurs behindert.