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Göpel: Aus meiner Sicht sind die Meinungen in Deutschland gespalten. Es ist für alle Beobachtenden schon erstaunlich gewesen, wie stark jetzt auf einmal das Gas zurückkommen soll. Insbesondere, weil auf der europäischen Ebene eine Unabhängigkeitsstrategie vorgeschlagen und auch beschlossen wurde und wir auch eigentlich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gespürt haben, dass wir Abhängigkeiten schaffen und uns erpressbar machen. Es sind ja auch kürzlich erst wieder Initiativen aus Katar und den USA lanciert worden, dass wir mehr von dem sogenannten LNG, also dem Frackinggas, übernehmen soll.

Und dann wollen die Akteure als nächstes Bedingungen stellen, wonach sie diese Bestellungen auch nur noch dann ausliefern, wenn wir unsere Nachhaltigkeitsgesetzgebung - in diesem Fall die Lieferkettengesetze - zurückdrehen. Das heißt, das Erpressungspotential ist nicht geringer geworden. Im Gegenteil, es hat sich auf weitere Staaten ausgebreitet. Deshalb ist es für viele fraglich, warum die Energiewende nicht mit voller Verve weiter vorangetrieben wird und warum man da nicht nachbessert mit Speichern, mit Smart Grids, mit einer europäischen Integration. Das alles würde auch den europäischen Kontinent stärken.

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Göpel: Wir haben in Deutschland sehr stark darauf gesetzt, alles über den Preis steuern zu wollen. Es waren aber ähnliche Akteure, die dann gesagt haben, dass man das den Menschen nicht zumuten könne. Da muss man sich als Verantwortlicher auch ehrlich machen, wie man den Instrumentenkasten so baut, dass insbesondere schwächere Haushalte geschützt werden.

Da war das Klimageld zum Beispiel ein Vorschlag, oder dass man zugängliche Alternativen schafft: etwa die ganzen Infrastrukturinvestitionen, ein Mobilitätsgedanke, aber natürlich auch die Ernährungssicherheit, also Zugang zu gesunden Nahrungsmitteln für alle.

Wir sehen von den privilegierten Teilen unserer Gesellschaft noch wenig Bereitschaft, ehrlich zu sagen, wenn wir alles bepreisen wollen, dann können sich einige viele Dinge noch leisten und andere nicht. Und wenn ich jede ordnungspolitische Maßnahme gleich als Verbot drangsaliere, anstatt zu sagen, dass es fair ist, wenn alle auf etwas verzichten müssen - beispielsweise große Verbrennerautos zu fahren -, dann ist das auch eine Weigerung, in Richtung Gesellschaftsvertrag zu denken. Den brauchen wir aber, weil wir aus der Wissenschaft wissen, dass Menschen Klimapolitik besonders dann akzeptieren, wenn sie den Eindruck haben, dass sie das Ziel verstanden haben und überzeugt sind.

[…]

Am verstörendsten ist ja gerade, dass die reichsten und mächtigsten Akteure auf der Welt sagen, dass sie das Versprechen des 20. Jahrhunderts vom Tisch nehmen. Das war, dass wir nach zwei Weltkriegen so zusammenarbeiten, dass alle Menschen auf diesem Planeten einen sicheren Ort zum Leben und nicht nur zum Überleben finden sollen. Und wenn die Stärksten sagen, das interessiert sie nicht mehr, Wohlstand für alle sei für sie nicht mehr Programm, dann sind wir alle aufgefordert dagegenzuhalten und zu sagen, dass wir an dem Versprechen festhalten.

  • A_norny_mousse@feddit.org
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    22 days ago

    Sehr gut.

    Vor langer Zeit hatte ich in der Schule ein Fach das sich SoWI oder WiSo nannte, wo Politik, Wirtschaft und Soziales behandelt wurden, und unser Lehrer war ziemlich cool (sah ein bisschen aus wie Heinz Rudolf Kunze). Das war eine seiner Weisheiten für Realpolitik, und er hat hinzugefügt dass er da auch nur jemand anders zitiert.

    Es ging aber um Budgetverteilung, nicht um Klimapolitik: “Nur wenn alle sich beschweren kann man sicher sein dass niemand einen ungerechten Vorteil bekommen hat.”

    Nicht dass das jetzt mein politischer Grundsatz wäre, aber er war ein guter Lehrer der uns Dinge richtig erklärt hat.

    Danke dass ihr meiner Samstagsnostalgie ein Ohr geschenkt habt.

    • Black616Angel@discuss.tchncs.de
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      22 days ago

      Heinz Rudolf Kunze hat im gesamten deutschsprachigen Raum einen der schönsten und klügsten Oberlippenbärte.
      - Dörte

      - Rainald Grebe

  • whisk4s@feddit.org
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    Deutsch
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    22 days ago

    Ich verabscheue die Erbsenzähler aus der Wirtschaft, die nur in den Nachrichten auftauchen um die Börsenzahlen zu verlesen und ohne Rechenschaftspflicht über Trends zu fabulieren.

    Maja Göpel ist der genaue Gegenentwurf zu diesem Typus; jemand der im Blick hat, dass Wirtschaft mehr der gerechten Verteilung denn Vermehrung von Wohlstand dient.

    Aus ihren früheren Themen fand ich besonders die über die Messung von Wohlstand spannend: wie versteckte und verallgemeinende Kosten kaum abgebildet sind, und dadurch Unternehmen mit Umweltverschmutzung und Massenentlassungen die eigene Bilanz auf Kosten der Gesellschaft schönen können.